In der TCM gibt es eine komplexe Psychologie, die in einer simplen Bildsprache auf den Punkt gebracht wird. Die Serie widmet sich den sogenannten Elementargeistern. Dieses Mal: Po.
Der Po wird in der Traditionellen Chinesischen Medizin als Körperseele bezeichnet. Unser Körper kann, ganz im Sinne des Metallelements, als die Verdichtung und die Essenz unserer energetischen Matrix gesehen werden. Die Yang-Elemente Holz und Feuer streben ihrer Natur entsprechend nach oben, dem Himmel entgegen. Sie haben einen stärkeren Bezug zu den flüchtigeren Aspekten unserer Persönlichkeit wie Ideen, Gedanken, Geist oder Bewusstsein. Die Yin-Elemente Metall und Wasser haben hingegen mehr Bezug zur Erde, zu den materiellen Aspekten unserer Persönlichkeit, vor allem das Metallelement, denn Metall ist das schwerste und dichteste aller Elemente und der dichteste Aspekt unseres Menschseins ist nun einmal unser physischer Körper.
Daher besteht eine enge Beziehung zwischen Metallelement, Po und Körper.
Der Elementargeist des Metallelements gilt als der Wächter und der Architekt unserer physischen Form, er regiert über deren Entwicklung und deren Kraft: Ob wir robust und kräftig, ob wir zerbrechlich und dünnhäutig, ob wir gesund und vital oder kränklich und schwach sind, das alles fällt in den Verantwortungsbereich des Architekten Po. Zu den Aufgaben des Wächters Po gehört es, den Körper am Leben zu halten und regelmäßig zu reinigen. Ersteres vor allem über die Atmung und das Yin-Organ des Metallelements, die Lunge. Zweiteres über die Ausscheidung und das Yang-Organ des Metallelements, den Dickdarm. Generell werden jedoch alle unwillkürlichen vitalen Funktion des Organismus dem Metallelement zugeordnet. Das Metallelement agiert unter der Bewusstseinsschwelle, wie sich auch Metalle tief im Erdreich befinden und dort weder sichtbar noch beeinflussbar sind. Der Po reguliert Schlaf, Hunger, Durst oder Verdauung. Weiters repräsentiert er unseren Überlebenstrieb:
Der Po ist der tierische Instinkt in uns, der genau weiß, was zu tun ist, um unsere physische Form aufrecht und am Leben zu halten. In Bezug auf den Po spricht man auch von dem sechsten Sinn.
Der sechste Sinn ist kein abstraktes Konstrukt esoterisch angehauchter Philosophien, im Gegenteil, er ist eine sehr konkrete Funktionseinheit und umfasst zwei Aspekte. Die klassischen fünf Sinne Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken verbinden uns mit der Umwelt. Der sechste Sinn wird gerne als Körpersinn oder Propriozeption bezeichnet. Der Körpersinn kann wie die Augen oder die Ohren als eigenes Sinnesorgan gesehen werden. Er sorgt für die Körperwahrnehmung, die Raumwahrnehmung und die Selbstwahrnehmung über körperliche Empfindungen. Ohne Propriozeption würden wir uns mit Gleichgewichtsbewahrung und Bewegung im Raum schwer tun. Wir hätten sogar Probleme damit, eine Gabel mit der Hand zum Mund zu führen, geschweige denn ein paar Schritte rückwärts zu gehen oder eine Salto zu machen.
Das alles braucht multidimensionale Feedbackschleifen, die unmittelbar verarbeitet werden müssen. Das ist der eine Aspekt des sechsten Sinns. Der andere Aspekt: Der Körpersinn ist ein extrem feinfühliges Sensorium, so feinfühlig, dass er geringste Nuancen der Veränderung im Raum über den Körper wahrnehmen kann, Nuancen, die weit unter der bewussten Wahrnehmungsschwelle liegen.
Ein starker Po verleiht uns fast schon magische Kräfte.
Er spürt es, übertrieben dargestellt, wenn in China ein Rad umfällt oder ein Schmetterling dabei ist, im Südpazifik einen Orkan auszulösen. Aber jede noch so kleine Veränderung im Raum hat nun einmal ihre Auswirkungen und das teilweise über große und größte Distanzen. Je nachdem wie gut unser Po ausgeprägt ist, nehmen wir sie wahr. Oder eben nicht. Die spezifische Qualität von Metallen ist es, Energie oder Teilchen weiterleiten zu können. Überhaupt: Metalle sind die besten Leiter und werden zum Beispiel auch als Sensoren für elektromagnetische Felder verwendet. Jede Veränderung in den Feldern kann mit den entsprechenden Instrumenten gemessen, also wahr genommen werden. Das Metallelement in uns reagiert ebenso sensibel, bis hin zur Wahrnehmung von subtilen Veränderungen in elektromagnetischen Felder. Der Po ist unsere Instinkt-Instanz, er ist der Superleiter unseres Energiesystems.
Tiere verfügen zum Beispiel über einen ausgezeichneten Po. Haustiere spüren das Herannahen von Bezugspersonen, bevor sich diese überhaupt in unmittelbarer Nähe befinden, und reagieren dementsprechend darauf. Wildtiere können Gefahren wahrnehmen, die sich in weiter Entfernung anbahnen, lange bevor es konkrete Anzeichen dafür gibt. So flüchteten zahlreiche Tiere auf den von dem großen Tsunami des Jahres 2004 betroffenen Inseln vor dem Eintreffen der Flutwelle in höher gelegene Regionen und wurden derart verschont. So auch die mit der Natur eng in Verbindung stehenden Einwohner. Nur die sich schon lange von der Natur entfernt habenden Touristen machten genau das Gegenteil: Sie liefen dem Tsunami entgegen. Der Po besitzt die Fähigkeit, uns instinktiv und ohne großen Nachdenkprozess aus bedrohlichen Situationen heraus zu manövrieren. Weil wir es irgendwie spüren, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Der sechste Sinn eben. Der Wächter über die Form.
Den Po kann man auch trainieren: Indem man viel Zeit in der Natur verbringt und wieder lernt, mehr auf die leisen Regungen im Körper zu hören und zu vertrauen.
Die modernen vollklimatisierten Großraumbüros mit ihren isolierten Kojen sind hingegen tödlich für den Po. Selten ist man von der Natur mehr getrennt als in einem solchen Umfeld. Längerfristig degeneriert der Körpersinn. Bis man sich gar nicht mehr spürt.
Apropos spüren: Als Wächter und Architekt der Form erlebt sich der Po gerne über den Körper. Er braucht den Körper, um sich zu erleben. Ist er sich seiner nicht ganz sicher, dann braucht er sogar äußerst intensive Reize, um sich zu spüren, bis hin zu einer Sucht nach Reizintensität. Im Po schlummert unser Suchtpotential. Ob Sportsucht, Sexsucht, Fresssucht oder Drogensucht: Jeder Rausch der Sinne, der zu einem intensivierten Erleben – und somit zu einer Bestätigung – seiner Selbst über den Körper führt, ist Ausdruck eines Po auf der Suche nach sich selbst. Sucht bei der Wurzel zu packen ist immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Po. Diese Auseinandersetzung ist jedoch nicht leicht. Denn der Po herrscht auch über unsere Gefühle.
Generell ist das Holzelement die Mutter der Emotionen, vor allem die Leber. Das stimmt bis zu einem gewissen Grad. Der Elementargeist des Holzelements, der Hun, ist wie der Wind. Emotionen sind wie der Wind. Sie sind dynamisch, von flüchtiger Natur und lassen sich erst im Ausdruck erkennen. Wenn der Wind dem Hun entspricht, dann entsprechen die durch den Wind bewegten Bäume dem Po, dem materiellen Ausdruck der bewegenden Energie.
Der Hun ist die Psyche. Der Po ist Soma, der Leib. Der Po ist unser psychosomatisches Gedächtnis.
Er verkörpert die Gefühle und im Po schlummern vor allem jene Gefühlsintensitäten, die uns tief geprägt haben. So wie ein Wind, der anhaltend aus einer Richtung bläst, einen Baum dauerhaft verformen kann, können uns genauso hohe wie fortwährende Gefühlsintensitäten verformen, bis wir sie eben verkörpern. Eine gute Therapie sollte daher nicht nur den Hun, sondern unbedingt auch den Körper adressieren und mit dem Po arbeiten, besonders wenn es um Suchtverhalten geht. Es gilt fest sitzende Altlasten loszuwerden und auszuscheiden, bevor man, ganz der Qualität des Metallelements entsprechend, zur traurigen Gestalt wird. Während der Po mehr mit der Lunge in Verbindung steht, sind Loswerden und Ausscheiden mehr Aspekte des Dickdarms.
Aus dieser Serie:
– DAS HOLZ-ELEMENT UND DER HUN
– DAS FEUER-ELEMENT UND DER SHEN
– DAS WASSER-ELEMENT UND DER ZHI
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