GUTE NACHT! (TEIL I)
So ziemlich alles über Schlafstörungen aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin: Die Grundlagen.
Text: Mike Mandl, Bild: flickr / Simon Harrod (creative commons license)
Ich bin kein Freund vom Auto als Statussymbol. Ich bin auch nicht dagegen. Jede und jeder wie sie oder er will. Aber für mich ist ein Auto nicht mehr als ein nützlicher Gebrauchsgegenstand. Es soll mich verlässlich von A nach B bringen. Es soll Kinder, Sportgeräte und jede Menge Krimskrams transportieren. Es soll gut funktionieren. Aber es darf nicht heikel sein. Weil Obstbäume, schwere Steine, schmutzige Mountain-Bikes oder hungrige Münder einfach Spuren hinterlassen. So what?
Daher bevorzuge ich den Kauf von Gebrauchwagen. Weil ich es nicht nachvollziehen kann, warum ein Neuwagen nach den ersten 100 Metern Fahrt, also einfach raus beim Händler, gleich einmal 30 Prozent weniger wert ist. Zudem: Autos gibt es eh schon mehr als genug auf dieser Welt. Und dann natürlich: Weil die erste Schramme, die tut ja immer besonders weh. Ist diese bereits vorhanden, kann man die Sache einfach lockerer angehen, was die äußere Form betrifft. Die inneren Wert hingegen, die muss man pflegen, weil das ist die Natur der Sache, die haben schon viel leisten müssen, die haben schon viel erlebt, auf die kommt es an, sie sind das Herz, sie sind der Motor. Und apropos Motor. Da gab es unlängst Probleme. Mit dem Öl. Das habe ich irgendwo zwischen Italien und Wien verloren. Mit zweierlei Konsequenzen: Einerseits natürlich schlechtes Gewissen, weil Umwelt und so. Aber ich hab‘s ja nicht absichtlich gemacht. Und andererseits: Kletterte die Temperatur rapide und bedenklich nach oben, in den mehr als roten Bereich. Daher Notstopp und so weiter und so fort.
Aber so ist das nun einmal, wenn dem Yang das Yin fehlt.
Yang, das ist die Bewegung, die Aktivität, das sind die Kolben, die durch die Verbrennung angetrieben werden. Yin, das ist das Öl, das dafür sorgt, dass die Kolben wie geschmiert ihrer Arbeit nachgehen können. Fehlt das Yin, entsteht Reibung, entsteht Hitze, der Worst Case: Kolbenreiber. Nichts geht mehr. Festgefahren. In unserem Leben verhält es sich ähnlich. Ohne Yin wird das Yang früher oder später heiß laufen. Ohne Yin kann das Yang längerfristig nicht seine Kraft entfalten. Ohne Yin werden Probleme in den Bereichen des Yang entstehen.
Eine der wichtigsten Yin-Quellen, die wir haben, ist der Schlaf. Die Nacht steht als Yin-Aspekt dem yangigen Tag gegenüber.
Untertags scheint die Sonne (yang), es ist hell (yang), wir sind aktiv (yang). In der Nacht ist es dunkel (yin), es ist ruhig (yin) und im Regelfall sollten wir ruhen (yin). Wichtig ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Yin und Yang. Beginnt ein Pol zu dominieren, führt dies zu einer Disharmonie. Siehe mein Motorproblem. Ein klassischer Fall von Yin-Mangel mit daraus resultierender Yang-Hitze. Ich hatte Glück. Ein kleines Leck in der Ölzufuhr, das war schnell repariert, dann noch Öl nachgefüllt, fertig, weiter ging‘s. Wenn es im Leben auch so einfach wäre. Denn unsere schnelllebige Leistungsgesellschaft knabbert sich massiv das Yin weg. Wir wollen mehr, immer mehr. In noch kürzerer Zeit. Wir sind immer online. Wir sind immer erreichbar.
Wir wollen überall sein, sind ständig unterwegs, kommen aber nie wirklich an.
Wir sind sehr yang geworden, alle miteinander. Die Ruhe, der Müßiggang, das simple Sein, das ist alles nicht mehr sexy genug im Zeitalter 2.0. Umso wichtiger ist es oder wäre es oder sollte es sein, das Yin bewusst zu pflegen. Über den Schlaf. Aber mit dem gibt es oft Probleme. Fast ein Drittel der Bevölkerung ist davon betroffen: Schlafstörungen. Tendenz: Steigend. Und selbst die, die keine Schlafstörungen haben, empfinden den Schlaf oft nicht unbedingt als eine Quelle der Regeneration und Erholung. Die Konsequenz davon: Wir laufen heiß, so heiß, bis wir zu brennen beginnen und dann brennen wir und dann brennen wir aus und dann wundern wir uns, wenn Burn Out und Erschöpfungszustände wie eine euphorische Epidemie über das Land rollen. Dem Yang fehlt das Yin. Eindeutig. Unserem Leben fehlt der Schlaf. Eindeutig.
Wie essentiell Schlaf für unser gesamtes Wohlbefinden ist, das wissen die Eltern unter uns. Fehlt den kleinen Genprodukten auch nur eine halbe Stunde davon, können sich ansonst liebliche Zwerge in rasch gereizte Monster verwandeln. Sie sind dann unruhig, nervös, schnell emotional, überdreht, zappelig. Dem Yang fehlt das Yin. Uns Erwachsenen geht es nicht anders, nur können wir es besser und länger verbergen. Irgendwann kommt es dann über trotzdem raus. Daher sollten wir Eltern unseres eigenen Schlafes werden, ihn sorgsam behüten und darauf achten, dass er die besten Vorraussetzungen findet, um sich wohl zu fühlen und zu entfalten. Denn Schlaf ist noch so viel mehr als das Yin zum Yang…
ÜBER FEUER UND WASSER
Was also passiert aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin, wenn wir schlafen? Untertags zirkuliert unsere Yang-Energie, unsere Aktivitätsenergie an der Oberfläche unseres Körpers. Das ist gut und wichtig, weil wir untertags ständig in Kontakt und Interaktion mit der Außenwelt sind. Schließen wir die Augen, sammelt sich die Yang-Energie im Körperinneren, um die inneren Organe zu nähren und zu regenerieren. Die Yang-Energie ist dann nicht mehr an der Außenseite. Deswegen brauchen wir auch mehr Schutz, wenn wir schlafen, weil wir empfindlicher sind, gegen Zug oder Kälte zum Beispiel. Eine Decke hilft. Aber genau dieser Prozess ist auch der Grund, warum wir zum Beispiel leichter einen Sonnenbrand bekommen, wenn wir in der Sonne liegend einschlafen. Weil Yang-Energie auch Abwehrenergie darstellt. Es braucht aber auch Voraussetzungen, damit die Yang-Energie überhaupt den Weg in das Körperinnere findet.
Feuer und Wasser sind zwei Urpolaritäten. Feuer ist sehr yang, Wasser sehr yin. Will man ein Feuer löschen, braucht es genügend Wasser. Sonst kommt es nicht zu Ruhe.
Die Relation ist entscheidend. Für ein Sonnwendfeuer apokalyptischen Ausmaßes braucht es schon eine Armee an Wasserkübeln. Für ein niedliches Feuerschalenfeuer im heimeligen Garten reicht eine Gießkanne. Aber es braucht die Gießkanne. Ein Wasserglas ist nicht genug. Sprich: Es braucht in Summe genügend Yin, um das Yang zu beruhigen. Unser System braucht genügend Yin. Sonst fällt es uns schwer, überhaupt in den Schlaf zu finden, obwohl wir schon hundsmüde sind. Und wenn wir einmal schlafen, wird der Schlaf sehr unruhig und oberflächlich sein, weil das Yang immer wieder seinen Weg nach außen findet.
Aber auch mit ausreichend Yin können Schlafprobleme auftreten: Wenn das Yang zu dominant ist. Um noch einmal auf das Feuer zurück zu kommen: Ist dieses zu groß, zu mächtig, dann haben wir vielleicht genügend Wasserreserven. Aber nicht für dieses Feuer. Das Yang kann nicht zur Ruhe kommen und in den Körper eindringen. Generell tun wir uns dann schwer, überhaupt zur Ruhe zu kommen. Ganz simpel betrachtet kann es also zwei Ursachen für Schlafstörungen geben: Entweder das Yin ist zu schwach. Oder das Yang ist zu stark. In dem einen Fall gehört das Yin aufgebaut. In dem anderen Fall gehört das Yang abgebaut. Das sind zwei völlig unterschiedliche Therapieansätze, die in der westlichen Medizin nicht wirklich berücksichtigt werden. Hier setzt man ausschließlich auf sedierende Verfahren. Und ja, es klingt paradox, aber im Falle eines Yin-Mangels führen ausschließlich tonisierende Methoden zu einer Beruhigung des Systems. Findet dieser Prozess nicht statt, wird es schwer sein, je ohne medikamentöse Nachhilfe einen ruhigen Schlaf zu finden. Es geht um die Relation von Yin und Yang. Erst wenn die Relation einigermaßen im Gleichgewicht ist, können wir gut schlafen. Und das sollten wir auch tun, denn richtiger Schlaf ist ein wahrer Jungbrunnen. Auf vielen Ebenen…
DIE ENERGETIK DES SCHLAFES
Einfach nachzuvollziehen ist, dass der Schlaf dazu beiträgt, unser Yin zu nähren und zu regenerieren. Passiert das nicht, kann schon am nächsten Tag das Yang des Feuers etwas schlechter kontrolliert werden und die Flammen des Geistes sind unruhig, wir können uns schlechter konzentrieren, sind innerlich angespannt, werden schnell müde und sind reizbar. Längerfristig kann bei Schlafstörungen das Yin sogar soweit geschwächt werden, dass das Feuer manisch um sich zu züngeln beginnt. Wir tun uns schwer, die Psyche in den Griff zu bekommen. Chronischer Schlafentzug kann uns extrem zermürben. Aber auch auf körperlicher Ebene schwächt uns schlechter Schlaf. Die inneren Organe werden von der Yang-Energie nicht ausreichend genährt. Sie verlieren an Vitalität. Wir verlieren an Immunität. Wir kreieren einen Nährboden für viele Krankheiten.
Das hat laut Traditioneller Chinesischer Medizin vor allem mit Funktion des Metallelementes zu tun, mit der Funktion des Po.
Jedes der Fünf Elemente hat einen sogenannten Elementargeist, der als Archetyp für umfassende psychologische und physiologische Zusammenhänge und Vorgänge verstanden werden kann. Der Po wird gerne als der Architekt des Körpers bezeichnet. Er verfügt über einen animalischen Instinkt, der genau weiß, was uns gut tut und was nicht. Tiere wissen das. Unsere Katze zum Beispiel. Egal ob sie gerade halbtot von einem heftigen Revierkampf zurückkommt oder etwas für sie Suboptimales gegessen hat: Geht es ihr schlecht, verzieht sie sich in den Keller und schläft. Manchmal mehrere Tage, nur kurz unterbrochen von Nahrungsaufnahme und Entleerung. Lässt sie sich wieder blicken, ist sie gesund. So einfach ist das.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass unser Körper im Schlaf Wachstumshormone ausschüttet, die zum Beispiel Gewebe schneller regenerieren lassen. Oder das sich unser Stoffwechsel in der Ruhephase konsolidiert. Schlaf, so die Traditionelle Chinesische Medizin, rekonstruiert die Funktion des Po und der Po hat vor allem die Obut über unsere Konstitution. Ist der Po stark genug, beugt er Krankheiten vor. Oder kann maßgeblich zum Heilungsprozess beitragen. Und zwar nicht nur bei Krankheiten oder Symptomen, die auf Basis mangelnden Yins entstehen, sondern bei mehr oder weniger allen Krankheiten. Nährt der Schlaf den Po, passiert also mehr, als dass durch die Ruhe das Yin gestärkt wird.
Es gibt viele unglaubliche Geschichten von schwerkranken Personen, die im künstlichen Tiefschlaf eine beinahe schon wundersame Gesundung erlebt haben. Für die Traditionelle Chinesische Medizin ist das klar: Dem Po sei dank. Er ist der Architekt des Körpers. Ein guter Architekt weiß eine Baustelle auch in schwiergen Zeiten zu führen. Ist der Architekt jedoch auf Urlaub, gerät die Baustelle außer Kontrolle. Dann kommt der Fließenleger vor dem Elektriker, die Fenster kommen vor der Fassade und das Dach vor dem Dachstuhl. Chaos. Fehler. Schwachstellen am laufenden Band. Das passiert auch mit unserem Körper, wenn wir längerfristig zuwenig wirklich erholsamen Schlaf bekommen. Auch das ist wissenschaflich bewiesen: Schläft man zu wenig, gerät der Stoffwechsel aus dem Takt. Dadurch kann das Risiko, an Zivilisationskrankheiten wie Diabetes zu erkranken oder übergewichtig zu werden, steigen. In der TCM ist das seit mehr als 2.000 Jahren bekannt. Schlaf ist also so viel mehr als bloße Regeneration. Denn auch ein zweiter Elementargeist leidet sehr, bekommt er nicht genügend Schlaf…
VIEL MEHR ALS REGENERATION
Es geht um das Holzelement, um den sogenannten Hun. Der Hun ist wie ein Schwamm, er saugt alles auf, was wir untertags über die Sinnesorgane aufnehmen. Der Hun steht im weiteren Sinne für unser Unterbewusstsein. Dieses muss sich kontinuierlich entladen, wollen wir von dem, was sich dort festgesetzt hat, nicht ständig überflutet oder beeinflusst werden. Diese Entladung passiert im Schlaf. Der Hun entleert sich. Das sind dann die ganzen Bilder, die sich in der Nacht zu Träumen zusammensetzen.
Wir verarbeiten den Tag. Wir verarbeiten Unbewusstes.
In der Traditionellen Chinesischen Medizin ist dieser Verarbeitungsprozess jedoch nur eine Phase des Schlafes. Denn hat sich das Fass der aufgesammelten Eindrücke einmal entleert, können wir tiefer in das Unterbewusstsein blicken, wir können mit den tieferen Archetypen unseres Seins in Verbindung treten, wir können mit dem Aspekt unserer Persönlichkeit in Kontakt treten, der mehr unserem Wesenskern entspricht, wir können so tief in uns abtauchen, dass wir uns erkennen. Das wäre die zweite Phase des Schlafes. Die dritte Phase baut darauf auf. Das Holzelement ist das Element der Visionen, der großen Träume. Verbinden wir uns im Schlaf mit unserem wahren Selbst, können daraus wegweisende Bilder für die Zukunft entstehen. In Form von Träumen. Träume, die einen sehr realen Charakter haben. Und auch genauso eintreten können. Ja.
Die Voraussetzung dafür: Ein tiefer, nicht unterbrochener Schlaf. Generell bleiben die meisten Personen in der ersten Phase stecken. Die ganze Nacht lang wird das Unterbewusstsein entrümpelt. Und am Morgen wacht man auf, müde und geschlaucht, weil emotionales Saubermachen einfach anstrengend ist. Der Schlaf würde im Idealfall also auch eine Erkenntnisebene beinhalten. Das ist die Natur der Sache. Nur in der absoluten Ruhe, in der absoluten Stille offenbaren sich die Aspekte des Seins, die gemeinhin als mystisch bezeichnet werden. Der Schlaf ist also weit mehr als nur Regeneration und Erholung. Er ist essentiell für alle Ebenen unseres Lebens. Er kann zu unserer konstitutionellen Stärke beitragen. Er kann unsere Persönlichkeitsentwicklung fördern. Ist er jedoch nicht gut genug, schwächen wir längerfristig Körper, Geist und Seele. Wer wirklich etwas für sich und seine Gesundheit tun will, sollte daher beim Schlaf ansetzen. Daher ist es wichtig genau zu verstehen, was ihn wirklich beeinträchtigt.
Das steht dann im nächsten Blog
-> So ziemlich alles über Schlafstörungen (TEIL II): Die Ursachen
-> Die Schlaf-Checkliste: Was zu beachten ist, um besser zu schlafen