DER PO IM SHIATSU
Der Geist des Metallelements spielt in der Traditionellen Chinesischen Medizin eine entscheidende Rolle, wenn es um die Behandlung von chronischen Krankheiten und Ängsten geht.
Mit einem geschwächten Po können selbst kleine Beschwerden zu langanhaltenden Problemen werden, während mit einem starken Po auch schwere und langfristige Krankheiten gemeistert werden können. Der Po ist ein wahrer Jolly Joker im Shiatsu und wir sollten seine umfangreichen Fähigkeiten nutzen.
Jeder der fünf Wandlungsphasen wird ein sogenannter Elementargeist zugeordnet: Dem Wasser-Element der Zhi, dem Holz-Element der Hun, dem Feuer-Element der Shen, dem Erd-Element der Yi und dem Metall-Element der Po. Ein Elementargeist ist nichts anderes als die Summe von spezifischen psychischen und physischen Grundqualitäten. Um die besondere Rolle des Po in Bezug zu chronischen Krankheiten zu erfassen, müssen wir zuerst seine Grundqualität verstehen.
Die Körperseele
In der TCM wird der Po als Körperseele bezeichnet. Unser Körper kann, ganz im Sinne des Metall-Elements, als die Verdichtung und die Essenz unserer energetischen Matrix gesehen werden. Die Yang-Elemente Holz und Feuer streben ihrer Natur entsprechend nach oben, dem Himmel entgegen. Sie haben einen stärkeren Bezug zu den flüchtigeren Aspekten unserer Persönlichkeit wie Ideen, Gedanken, Geist oder Bewusstsein. Die Yin-Elemente Metall und Wasser haben hingegen mehr Bezug zur Erde, zu den materiellen Aspekten unserer Persönlichkeit, vor allem das Metall-Element, denn Metall ist das schwerste und dichteste aller Elemente und der dichteste Aspekt unseres Menschseins ist nun einmal unser physischer Körper. Daher besteht eine enge Beziehung zwischen Metallelement, Po und Körper.
Der Elementargeist des Metall-Elements gilt als der Wächter und der Architekt unserer physischen Form, er regiert über deren Entwicklung und deren Kraft: Ob wir robust und stabil, ob wir zerbrechlich und dünnhäutig, ob wir gesund und vital oder kränklich und schwach sind, das alles fällt in den Verantwortungsbereich des Architekten Po. Natürlich: Das Baumaterial bezieht der Architekt Po aus dem Jing des Wasser-Elements. Aber es kommt darauf, was man daraus macht. Wer schon jemals ein Haus gebaut hat, weiß was passiert, wenn eine kompetente Bauaufsicht fehlt. Es werden sich Fehler einschleichen. Teils gravierende. Ein gesunder Po kreiert aus dem Jing ein genauso funktionales wie stimmiges Haus. Damit ist sein Job aber noch nicht erledigt.
Vitalfunktionen und Instinkt
Denn zu den Aufgaben des Wächters Po gehört es ebenso, den Körper am Leben zu halten und regelmäßig zu reinigen: Über die Atmung und das Yin-Organ des Metall-Elements, die Lunge, sowie über die Ausscheidung und das Yang-Organ des Metall-Elements, den Dickdarm. Der Po sorgt für Sauberkeit, bis hinein in die zelluläre Ebene. Und er sorgt für den Grundbetrieb. Generell werden alle unwillkürlichen vitalen Funktionen des Organismus dem Metall-Element zugeordnet. Das Metall-Element agiert dabei unter der Bewusstseinsschwelle, wie sich auch Metalle tief im Erdreich befinden und dort weder sichtbar noch beeinflussbar sind. Der Po reguliert Schlaf, Hunger, Durst oder Verdauung. Weiters repräsentiert er unseren Überlebenstrieb: Der Po ist der tierische Instinkt in uns, der genau weiß, was zu tun ist, um unsere physische Form aufrecht und am Leben zu halten. So wie Tiere genau wissen, was sie tun müssen, um sich von einer Verletzung oder einer Krankheit zu kurieren. Meistens eben: Viel schlafen.
Ein erweiterter Aspekt dieses Instinkts ist der sogenannte sechste Sinn. Der sechste Sinn ist jedoch kein abstraktes Konstrukt esoterisch angehauchter Philosophien, im Gegenteil, er ist eine greifbare Funktionseinheit. Die klassischen fünf Sinne Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken verbinden uns mit der Umwelt. Der sechste Sinn wird gerne als Körpersinn oder Propriozeption bezeichnet. Der Körpersinn kann wie die Augen oder die Ohren als eigenes Sinnesorgan gesehen werden. Er sorgt für die Körperwahrnehmung, die Raumwahrnehmung und die Selbstwahrnehmung über körperliche Empfindungen. Ohne Propriozeption würden wir uns mit Gleichgewichtsbewahrung und Bewegung im Raum schwertun. Das alles braucht multidimensionale Feedbackschleifen, die unmittelbar verarbeitet werden müssen. Das ist der eine Aspekt des sechsten Sinns.
Der Superleiter Po
Der andere Aspekt: Der Körpersinn ist ein extrem feinfühliges Sensorium, so feinfühlig, dass er geringste Nuancen der Veränderung im Raum über den Körper wahrnehmen kann, Nuancen, die weit unter der bewussten Wahrnehmungsschwelle liegen. Ein starker Po verleiht uns fast schon magische Kräfte. Er spürt es, übertrieben dargestellt, wenn in China ein Rad umfällt oder ein Schmetterling dabei ist, im Südpazifik einen Orkan auszulösen. Aber jede noch so kleine Veränderung im Raum hat nun einmal ihre Auswirkungen und das teilweise über große und größte Distanzen. Je nachdem wie gut unser Po ausgeprägt ist, nehmen wir sie wahr. Oder eben nicht. Die spezifische Qualität von Metallen ist es, Energie oder Teilchen weiterleiten zu können. Überhaupt: Metalle sind die besten Leiter und werden zum Beispiel auch als Sensoren für elektromagnetische Felder verwendet. Jede Veränderung in diesen Feldern kann mit den entsprechenden Instrumenten gemessen, also wahrgenommen werden. Das Metall-Element in uns reagiert ebenso sensibel, bis hin zur Wahrnehmung von subtilsten Veränderungen. Der Po ist unsere Instinkt-Instanz, er ist der Superleiter unseres Energiesystems.
Wiederum gilt: Tiere verfügen zum Beispiel über einen ausgezeichneten Po. Haustiere spüren das Herannahen von Bezugspersonen, bevor sich diese überhaupt in unmittelbarer Nähe befinden, und reagieren dementsprechend darauf. Wildtiere können Gefahren wahrnehmen, die sich in weiter Entfernung anbahnen, lange bevor es konkrete Anzeichen dafür gibt. Der Po besitzt die Fähigkeit, uns instinktiv und ohne großen Nachdenkprozess aus bedrohlichen Situationen heraus zu manövrieren. Weil wir es irgendwie spüren, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Der sechste Sinn eben. Der Wächter über die Form. Den Po kann man auch trainieren: Indem man viel Zeit in der Natur verbringt und wieder lernt, mehr auf die leisen Regungen im Körper zu hören und zu vertrauen. Die modernen vollklimatisierten Großraumbüros mit ihren isolierten Kojen sind hingegen tödlich für den Po. Selten ist man von der Natur mehr getrennt als in einem solchen Umfeld. Längerfristig degeneriert der Körpersinn. Bis man sich gar nicht mehr spürt.
Die somatische Instanz
Als Wächter und Architekt der Form erlebt sich der Po jedoch gerne über den Körper. Er braucht den Körper, um sich zu erleben. Ist er sich seiner nicht ganz sicher, dann braucht er sogar äußerst intensive Reize, um sich zu spüren, bis hin zu einer Sucht nach Reizintensität. Im Po schlummert daher unser Suchtpotential. Ob Sportsucht, Sexsucht, Fresssucht oder Drogensucht: Jeder Rausch der Sinne, der zu einem intensivierten Erleben – und somit zu einer Bestätigung – seiner Selbst über den Körper führt, ist Ausdruck eines Po auf der Suche nach sich selbst. Sucht bei der Wurzel zu packen ist immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Po. Diese Auseinandersetzung ist jedoch nicht leicht. Denn der Po herrscht über unsere Gefühle.
Der Po ist unser psychosomatisches Gedächtnis. Er verkörpert unsere Gefühle und im Körper schlummern vor allem jene Gefühlsintensitäten, die uns tief geprägt haben. So wie ein Wind, der anhaltend aus einer Richtung bläst, einen Baum dauerhaft verformen kann, können uns genauso hohe wie fortwährende Gefühlsintensitäten verformen, bis wir sie eben verkörpern. Eine gute Therapie sollte daher nicht nur den Hun des Holz-Elements, sondern unbedingt auch den Körper adressieren und mit dem Po arbeiten, besonders wenn es um Suchtverhalten geht. Es gilt festsitzende Altlasten loszuwerden und auszuscheiden, bevor man, ganz der Qualität des Metallelements entsprechend, zur traurigen Gestalt wird. Während der Po mehr mit der Lunge in Verbindung steht, sind Loswerden und Ausscheiden mehr Aspekte des Dickdarms.
Der Po und chronische Krankheiten
Alle bisher angesprochenen Qualitäten des Po spielen in Bezug auf chronische oder schwerwiegende Krankheiten eine entscheidende Rolle. In der TCM wird oft gemeint, dass im Fall von tiefen Erkrankungen der Architekt des Körpers auf Urlaub ist und das Bauwerk daher zu verfallen beginnt. Es ist der Po, der die Form aufrechterhält. Der sie reinigt. Pflegt. Und nicht zuletzt ist die Lunge ja auch verantwortlich für das Wei Qi, unsere Abwehrkraft, unsere Immunität. Schwerwiegende Krankheiten brauchen aber auch eine hohe Form von Körperintelligenz, einen entsprechenden Instinkt: Was tut mir wirklich gut? Was brauche ich für meinen Heilungsprozess? Was soll ich essen? Welche Übungen soll ich machen? Wie viel Ruhe brauche ich? Wie viel Stimulierung? Wie muss ich mein Leben strukturieren, um die entscheidenden Veränderungen zu initiieren? Das alles ist eine Aufgabe des Po.
Und dann noch die Sache mit Gefühlen… Gefühle sind der Klebstoff, mit dem wir Erinnerungen an die Seele heften. Das bedeutet aber auch: Mit einem Fuß in der Vergangenheit zu stehen. Oder aber: Mit beiden Füßen, wenn es besonders viele Erinnerungen und besonders intensive Gefühle sind. Kleben wir zu sehr in der Vergangenheit, verlieren wir den Blick für die Zukunft. Eine positive Perspektive, einen Glauben an Hoffnung, das sind allerdings Qualitäten, die bei jeder ernstzunehmenden Disharmonie von großer Bedeutung sind. Das sind Qualitäten, die uns der Po vermitteln kann. Nicht ohne Grund beginnt der Energiekreislauf der Meridiane mit der Lunge. Wie auch der neue Tag mit der Lungenstunde beginnt. Oder die Abnabelung von der Mutter mit dem ersten Atemzug. Jeder Neubeginn braucht die Kraft des Po. Und um sich erfolgreich aus Krisen heraus zu manövrieren, braucht es erst recht die Kraft des Po. Daher wird dieser in der TCM bei mehr oder weniger allen chronischen Krankheiten adressiert, auch wenn sich die Pathologie schwerpunktmäßig in einem anderen Element ausdrückt.
In Shiatsu können wir diesen Jolly Joker ebenfalls erfolgreich einsetzen. Es geht um mehr als die Behandlung des Lungen-Meridians. Also wie?
😉